Tobi steuert rückwärts, der Parkplatzwächter direkt hinter dem Bus dirigiert uns fröhlich immer weiter nach hinten, bis es plötzlich kracht. Als wir schon stehen, deutet er mit seinen Händen „Stopp“. Super. Er lächelt schief, winkt nervös und verzieht sich ins andere Eck des Platzes, und wir stehen vor dem abgebrochenen Ast und dem schief hängenden Kiteboardständer und verdrehen mal wieder die Augen. Manchmal nervt das lateinamerikanische Gemüt. Entschuldigungen stehen hier nicht so auf dem Tagesplan, selbst als wir ihn nochmal ansprechen, dass da jetzt was schief gegangen ist, ignoriert er uns einfach. Wieder ein Grund, Werkzeug auszupacken, und wieder ein Grund, uns aufzuregen. Vielleicht haben wir einfach nur Pech, vielleicht haben wir bisher die falsche Route gewählt oder vielleicht sind wir nicht mehr tolerant genug, mit Mexiko werden wir jedenfalls bisher noch nicht so richtig warm. Immer wieder widerfahren uns hier solche Situationen. Und nach mittlerweile 20 Monaten Reisen merken wir es deutlich: wir müssen wieder aufhören damit. Auch Reisen wird zur Routine, zum Alltag, doch wir fühlen beide, dass wir den Arbeitsalltag zuhause vermissen. Wir müssen wieder etwas „schaffen“, Geld verdienen, und vor allem vermissen wir Familie und Freunde, unser fränkisches Zuhause und die fränkische Mentalität. Ja, wir haben Heimweh!

Wir besuchen die Ruinen von Palenque, die zwischen 300 und 900 n.Chr. ein bedeutendes Machtzentrum im Maya-Reich waren. Mitten im Dschungel gelegen, zählen sie zu den schönsten Maya-Stätten Mexikos. In den 40er-Jahren war der Fund der beeindruckenden Grabkammer des Herrschers Pakals des Großen eine Sensation, genauso wie die Entdeckung eines Sarkophags 1994, in dem eine wohl hochrangige Frau oder Priesterin bestattet wurde – ungewöhnlich in der männerdominierten Welt. Wir versuchen mal wieder, die Übersetzung der Glyphen nachzuvollziehen, aber da sind wir schnell überfordert. Wie die Forscher ohne jeglichen Anhaltspunkt auf die Bedeutung der zusammengewürfelten Zeichen kommen konnten, ist unglaublich. Indiana Jones und Robert Langdon haben schon echt spannende Jobs…

Im immergrünen Dschungel liegen sie versteckt, und sie sind wirklich schön anzusehen. Ein verrückter, exzentrischer österreichischer Graf hat sich das ebenfalls gedacht – Graf von Waldeck hat sich um 1831 in einem der Tempel häuslich eingerichtet, um die Anlage zu erforschen und zu porträtieren. Sollten wir vielleicht auch mal versuchen, Tempel-Camping, warum nicht…

Und doch haben wir schon wieder etwas zu meckern: es sind die Tourguides und die Souvenirverkäufer, die in Mexiko wirklich nerven können. Bisher war mit einem „no, gracias“ alles gesagt, doch hier laufen sie einem ständig nach. Und noch dazu sind sie mit Pfeifen bewaffnet, die Jaguar- oder Brüllaffengeräusche nachahmen. Und warum in Mexiko innerhalb der Ruinen unzählige Verkaufsstände sein müssen, hat sich uns auch noch nicht erschlossen. Als ob die vollgepfropfte Verkaufsgasse am Eingang nicht ausreichen würde – es bieten ja doch alle dasselbe an…

An einigen Wasserfällen vorbei schlängeln wir uns in die Höhe ins koloniale San Cristobal de las Casas. Die Stadt auf knapp 2000 Metern gefällt uns vor allem aus einem Grund: wir schwitzen nicht mehr! Es ist sonnig, aber nicht mehr schwül. Wir schlendern einfach so durch die bunten Gassen und Märkte, und quetschen uns durch die bunten Teppiche und die kitschigen Schmuckstände. An den Essständen laufen wir mit erhobenem Kopf vorbei, denn wir sind – achtung – auf Diät! Jawohl, richtig gehört, wir versuchen uns am neuesten Trend des Intervallfastens und essen täglich 16 Stunden am Stück nichts. Wir fürchten uns nämlich schon vor den Vereinigten Fastfood-Staaten, und da brauchen wir ein wenig Puffer, um uns durch alles, was zuckrig und bunt und fleischig ist, durchprobieren zu dürfen!

Hungrig verabschieden wir uns daher schon wieder vom angenehmen Klima und machen uns, vorbei am Sumidero-Canyon, auf an die Pazifikküste um Salina Cruz. Hier am Isthmus sind Golf von Mexiko und der Pazifik nur 200 km voneinander entfernt. Die sandigen Strände sind bekannt für ihre starken, thermischen Winde. Die blasen ordentlich, aber eben nicht im Juli. Daher machen wir nur einen kurzen Zwischenstopp und setzen unsere Fahrt gleich nach Norden fort. Wir besuchen die versteinerten Wasserfälle von Hierva El Agua und den breitesten Baum der Welt. In einem der Dörfer im Valle Tlacolula stolpern wir in eine der vielen Webereien. Josefina und ihre gesamte Familie lebt von der Produktion ihrer Teppiche und Taschen. Alles ist handgemacht, selbst die Farben kommen nicht aus der Tube, sondern von Insekten, Moos, Kalk und vielem mehr. Wir staunen über den Chemiebaukasten der Natur und kommen nicht drum herum, auch was einzupacken. Möbel haben wir zuhause so gut wie keine mehr, eigentlich ja auch gar keine Wohnung, aber jetzt besitzen wir immerhin schon mal einen Teppich.

Premiere: wir lernen die ersten Nicht-Maya-Ruinen kennen. Neben den Mayas im Süden beherrschten nördlich weitere Hochkulturen den amerikanischen Kontinent. Die Berge und Täler um Oaxaca besiedelten die Zapoteken, die zwischen 250 und 750 n.Chr. auf einem Hügel ihre größte und wichtigste Stadt errichteten, Monte Albán. Genau wie die Maya verließen die Zapoteken um 750 n.Chr. ihre großen Zentren, die Gründe des Niedergangs dieser Kulturen sind immer noch nicht geklärt. Die Lage der Ruinenstätte macht sie besonders, auf ihrem Hügel lässt sich alles in der Umgebung in 360 Grad überblicken. Am kuriosesten an der Anlage sind die Steintafeln, die man gefunden hat. Sie zeigen pummelige, buckelige Männer, mit Betonung auf ihre Genitalien, manche davon abgeschnitten oder missgebildet. Vielleicht stellen sie geopferte Gefangene dar, ganz klar ist das wohl nicht. Einen Österreicher gibt’s unter den seltsamen Figuren auch, er ist noch nicht geboren, trägt aber schon einen Tirolerhut – seht selbst…

In der Kunststadt Oaxaca besuchen wir das Museo de las Culturas. Das imposante Museum im Templo de Santo Domingo führt uns stundenlang durch die mexikanische Geschichte und die indigenen Kulturen. Die vielen Veränderungen mit dem Eintreffen der spanischen Konquista im 16. Jahrhundert und die Konflikte der späteren mexikanischen Revolution werden aufgearbeitet. Die riesige Sammlung an Fundstücken, vor allem die filigranen Goldarbeiten und die Totenmasken aus den präkolumbischen Gräbern, ist beeindruckend.

Als wir Oaxaca verlassen wollen, lässt uns der Bus plötzlich hängen. An der Tankstelle füllen wir wie immer unseren Wassertank auf. Beim Ausrangieren macht’s einen Schlag und unter dem Bus verteilt sich eine riesige Lache. Den Servoleitungsschlauch hat’s zerrissen, am Sonntag, natürlich. Tobi freut sich schon, den haben nämlich gerade irgendwelche Grippeviren erwischt, da schraubt sich’s besonders lustig. Wir entschuldigen uns gleich bei der Tankstelle für die giftige Pfütze, interessiert hier aber niemanden. Vielmehr wollen alle gleich helfen, jeder kennt einen Ersatzteil-Laden, oder irgendwas anderes, was uns weiterbringen könnte. Wir verteilen unsere Soße noch über die ganze Tankstelle bis zum Parkplatz auf der anderen Seite -„no problema!“ -, schlafen eine Nacht dort und finden tatsächlich gleich auf Anhieb am nächsten Morgen einen Schlauch-Shop um’s Eck. Nur eine Stunde Fluchen unter dem Bus, und schon ist er wieder fit!

Durch die Wälder der Sierra Norte kreuzen wir wieder an die Küste, diesmal an den Golf von Mexiko. In Oaxaca haben wir nämlich kurz den Windguru gecheckt, und der hat was von über 20 Knoten und Drei-Sterne-Wind um Veracruz geschrieben.

Möglichst schnell wollen wir dort sein, wir bleiben daher wieder auf der Hauptstraße. Die Orte, durch die wir fahren, sehen nie wirklich einladend aus, und immer öfter bekommen wir zu hören, dass wir bloß nicht bei Dunkelheit unterwegs sein sollten, und irgendwo abseits der Straße wild zu campen, das sei auch nicht unbedingt zu empfehlen. Also verbringen wir die Nächte an den Pemex-Tankstellen, zwischen Truckerfahrern.

Angekommen in Veracruz steuern wir als erstes eine Wäscherei an, in der wir Internet finden. Der Windguru spricht immer noch von drei Sternen, mittlerweile sogar von 35 Knoten, und beim genaueren Hinsehen ist die Windrichtung irgendwie seltsam. Der Wind dreht stündlich und die Böen sind mit fast 50 Knoten doch recht ordentlich. Da ist ja unser kleinster Kite zu groß. Wir checken die Wettervorhersage und schalten nebenbei unsere IPhones ein, und da treffen auch schon die ersten WhatsApps von zuhause ein: „Da gibt’s eine Hurrican-Warnung für die mexikanische Golfküste, wo seid ihr denn gerade?“ Ähm… ja. Genau da sind wir, eben wegen diesem verdammten Wind. Wir durchforsten alle Wetterberichte und Hurrican-Warnstationen und kommen dann zu dem Schluss, dass unsere Suche nach Wind noch nicht so verzweifelt ist, dass wir im Sturm auf’s Wasser müssen. Der liebe Sturm Franklin hat Yucatán überquert, mit „relativ“ wenig Schaden, und befindet sich nun wieder auf dem Meer, wo sich tropische Stürme bei optimalen Bedingungen wieder aufladen können. An der gegenüberliegenden Küste von Veracruz könnte er dann mit voller Wucht auf Land treffen, ob als Hurrikan oder „nur“ als Sturm, das lässt sich erst einige Stunden vorher sagen. Das heißt? Wir verschwinden sofort wieder. Auch auf starken Regen und schlammige Straßen im Umkreis des Sturms haben wir wenig Lust, also sehen wir zu, dass wir in den nächsten zwei Tagen einige hundert Kilometer weit weg kommen. Wieder auf den Highway und Strecke machen, als mittlerweile eiserne Pemex-Camper stoppen wir nur für die Nächte an den Service-Stationen. Außer Regen kriegen wir zum Glück nichts vom Sturm mit. Na, immerhin haben wir frische Wäsche – manchmal muss man eben 500 Kilometer fahren, um eine gute Wäscherei zu finden…