„Wenn die Finger am Lenkrad im Takt der Waschbrettpiste vibrieren und sich trotzdem ein dauerhaftes Grinsen in’s Gesicht schleicht, dann muss die Landschaft schon wirklich schön sein. Und das ist sie! Die Carretera Austral gilt als eine der schönsten Straßen Südamerikas, die knapp 1300 km Schotterpisten schlängeln sich in Serpentinen auf und ab vorbei an strahlend blauen Seen und Flüssen, Gletschern und durch Urwald…“
Das war die Einleitung, die wir zu Beginn der Carretera für diesen Blogbeitrag geschrieben haben – das dauerhafte Grinsen während der Fahrt ist mittlerweile einer schmerzverzogenen Grimasse gewichen. Der Bus klappert und rumpelt über die Waschbrettpiste, wir haben Staub in jeder Ritze, täglich neue unbekannte Klappergeräusche und Tobi’s Hauptaufenthaltsort ist mittlerweile unter oder hinter dem Auto. Als dann noch Steinchen kleine Löchlein in den Kühlwasserschlauch schlagen, sehnen wir uns das erste Mal wieder nach Asphalt… Ja, wir wissen, die wirklich schlimmen Straßen in Peru etc. kommen erst noch, aber wir haben gerade einfach die Schnauze voll!
So, das musste mal raus. Nachdem das gesagt ist – die Carretera ist nichtsdestotrotz wirklich eine der schönsten Straßen, die wir bisher befahren haben. Sie reicht von Puerto Montt nach Villa O’Higgins, führt auf wunderschönen Schotterpisten und zahlreichen Fjordüberquerungen per Fähre durch großartige Wälder, man hat in irgendeiner Richtung immer Blick auf irgendeinen Gletscher und irgendeinen grell-blauen See oder Fluss. Unvorstellbar, auf welch engem Raum sich hier Vulkan, Schnee, Eis, Baum, Farn, Bambus, glasklares Wasser, weißer Sand, Erdbeerpflanze und Riesenrhabarber, Hirsch, Delphin und Forelle begegnen.
Von Chile Chico am Lago General Carrera fahren wir zuerst nach „unten“, zum südlichsten Punkt der Carretera: Der Militärposten Villa O’Higgins war bis 1999 nur per Pferd oder Kleinflugzeug zu erreichen. Seit der Anbindung an die Carretera kann man das verschlafene 500-Einwohner-Städtchen über eine schöne Schotterstraße durch Moore und Bambuswälder erreichen. Highlight: die Empanadas am verschlafenen Fährhafen Puerto Yungay!
Von hier aus fahren wir nach Norden, mit einem Abstecher nach Caleta Tortel, einem noch verschlafeneren Fischerdörfchen auf Holzstelzen im Wasser. Die Abstecher von der Carretera aus lohnen sich schon allein wegen der Straßen: sie führen durch die Urwälder und Fjorde bis ans Meer, mit jedem Kilometer ändert sich der Urwald und die Berglandschaft um uns herum.
Ein Muss sind die Capillas de Marmol: dort paddelt man per Kayak auf dem beeindruckenden Lago General Carrera durch Felsformationen aus Marmor. Auf dem See ist im Dezember 2015 leider der US-Amerikaner Douglas Tompkins während einer Kayaktour zusammen mit Freunden tödlich verunglückt. Der ehemalige Besitzer von The North Face kaufte zusammen mit seiner Frau (der ehemaligen Eigentümerin von Patagonia) unvorstellbar riesige Urwaldgebiete in Chile und Argentinien und schuf daraus private Naturparks. Hier wird nachhaltiger Umweltschutz sowie organische Landwirtschaft betrieben, noch dazu sind die Parks und die Facilities größtenteils for free. Hier haben wir die bisher schönsten Camp-Spots und die saubersten Toiletten gefunden (mit Ausnahme vom Paraiso Suizo natürlich 😉 ) – und das heißt wirklich was! Auch wenn das Konzept der Fam. Tompkins vor Ort wohl sehr umstritten ist und wir garantiert zu wenig Einblick in die ganze Thematik haben – wir finden die riesigen Parks jedenfalls sehr beeindruckend und die Geschichte dahinter sehr interessant.
Viele, viele atemberaubende Gletscher und Naturparks weiter wartet das nächste Highlight auf uns: Puerto Raul Marin Balmaceda. Wer zwei, drei Tage entspannen will, sollte hier bleiben, denn hier ist’s genau so wie’s im Reiseführer steht: patagonische Ursprünglichkeit, Ruhe, wilde Erdbeeren am Sandstrand, Pinguine auf Jagd und einfach mal so in 20 Metern Entfernung mehrere tümmelnde Delphinfamilien…
Nächstes Muss: Rafting in Futaleufu! Der glasklare, aber eiskalte Fluss ist bekannt für Rafting und Wildwasserkayak. Zusammen mit Claire und James, zwei der vielen verrückten Radfahrern hier auf der Carretera, haben wir das Boot gerockt und Wildwasserstufe V gemeistert!
In Futaleufu legen wir dann noch ein paar Schraubertage ein, ein paar hausgemachte Problemchen mit Öl und Motor lassen unsere Stimmung ein wenig sinken. Aber nicht nur die Autofahrer, sondern auch die Fahrradfahrer haben mit der Carretera zu kämpfen. Claire und James gabeln wir nämlich, nach gemeinsamer lustiger Verköstigung unserer Bus-Bar und Campen am Fluss, am nächsten Tag mit Bruch der Hinterachsschwinge ihres Mountainbike-Tandems an der Straße wieder auf. Und so dürfen wir das erste Mal den Service-Bus spielen, wir packen Claire und ihr (spärliches) Gepäck ein und begleiten James, der das halbwegs geflickte Tandem ohne viel Gewicht weiterfährt, mit viel Mitleid auf der Schotterstraße bis in die nächstgrößere Stadt, Chaitén.
Wer übrigens nochmal über unseren Bus und dem wenigen Hab und Gut staunt, mit dem wir hier auskommen, der sollte mal einem der reisenden Zweirad-Freaks begegnen. Auf den endlos langen Straßen mitten im Nirgendwo treffen wir hier immer mal wieder auf solche ehrgeizigen Sportler, die über Monate hinweg mit drei T-Shirts, zwei Hosen und Fertig-Nudelsuppen überleben. Wir gewöhnen uns schon an, anzuhalten, ihre Wasserflasche aufzufüllen und eine Kanne Kaffee aufzusetzen. Wenn wir dann mit unserem Bus auf der staubigen Straße wieder weiterziehen, kommen wir uns jedes Mal ganz schön faul und luxuriös vor…
10 km von der Stadt entfernt liegt der aktive gleichnamige Vulkan Chaitén, der zuletzt 2008 ausgebrochen ist und das Städtchen mit 20 cm Asche belegt hat. Die Bewohner sind relativ schnell wieder zurückgekehrt und haben mit dem Wiederaufbau angefangen. Die grauen Aschehügel in den Vorgärten und am Strand zeugen aber noch von dem Drama.
Der Vulkan Chaitén liegt im Gebiet des Naturparks Pumalin, der weltweit größte private Naturpark, ebenfalls von Douglas Tompkins gegründet. Der Park hat eine atemberaubende Natur, hier wandern wir zum Krater des rauchenden Vulkans Chaiten und schlafen mit Blick auf den Vulkan Michimahuida.
Die Carretera führt weiter nach Norden durch den Pumalin-Park hindurch und über drei Fähren Richtung Puerto Montt. Leider ist es regnerisch und neblig, und so sehen wir von der Fahrt durch die Fjorde so gut wie nichts.
Außer ein Abendessen mit Claire und James bietet Puerto Montt gar nichts, also sehen wir zu, dass wir diese unschöne, stressige Stadt wieder schnell verlassen – ab Richtung Seengebiet!
Hinterlassen Sie einen Kommentar